Donnerstag, 19. April 2012

Gottes logisches Problem mit der Allmacht



Bräuchte man ein Stichwort, um das allgemeine Verständnis des Titels „Gott“ zu erklären, insbesondere bezogen auf die Fähigkeiten des so bezeichneten Wesens, würden einem wahrscheinlich viele einfallen: „ultimativ“,„allmächtig“, „vollkommen“ sind nur einige davon. Der Mensch kann echte Perfektion kaum begreifen, weshalb die Vorstellung Gottes auch meistens völlig verschwommen ist. Wer versucht, sich vorzustellen, das eine Sache keinen Anfang und kein Ende haben soll, müht sich vergebens: es geht nicht. Derartiges ist in unserer bekannten Welt nicht existent. Nichtsdestotrotz ist die mangelnde eigene Vorstellungskraft kein Argument gegen die Existenz eines solchen Wesens.Sollte eine Wanze so etwas wie Vorstellungskraft besitzen, ist ihm die Existenz von Menschen, Blauwalen, Güterwagons und vielen anderen Dingen wahrscheinlich zu komplex. Allenfalls merkt sie die Auswirkungen der Dinge, die sie nicht begreift – beispielsweise, wenn wir auf sie treten.
Eben diese Auswirkungen Gottes waren, als ich klein war, das Hauptargument für seine Existenz. Für viele Zeugen Jehovas sind sie es noch heute. Stellt man die Frage, wie man an einen Gott glauben soll, den man nicht sehen kann, katapultiert sich der Zeigefinger des Antwortgebenden sofort gen Fenster, in die Natur deutend, und eine glühende Rede auf die organischen Wunderwerke dieser Welt beginnt. Fragt man, wieso Gott nicht zu uns spricht,landet selbiger Zeigefinger auf der Bibel – „das tut er doch!“.
Nun dreht sich diese Diskussion spätestens nach diesenbeiden Fragen entweder um die Schlacht zwischen Schöpfung und Evolution, oder um die „inspirierte“ Bibel versus die Sammlung altertümlicher Mythen,Halbwahrheiten und mehr oder weniger stark verfälschten Geschichtsberichten.
Gehen wir in beiden Punkten von dem Standpunkt aus, den Jehovas Zeugen vertreten: ein von Gott erschaffenes Universum inklusive Erde und Schöpfung. Die Bibel ist inspiriert, und ihr Bericht somit absolut glaubwürdig, und laut diesem ist Gott perfekt und allmächtig. Nichts, was er nicht kann, was er nicht weiss, was ihn überraschen kann. Er macht keine Fehler - angeblich.

Verfolgen wir den Schöpfungsbericht. Gott erschafft das Universum, die Erde, Pflanzen, Lebewesen. Jedes Staubkorn, jedes Molekül, jedes noch so kleine Teilchen hat er erschaffen und persönlich an den Fleck gesetzt,den er ihm zugedacht hat. Bei all der Ehrfurcht, die einem eine solche Macht abringt, vergessen die meisten, was ultimative Macht mit sich bringt – die ultimative Verantwortung. Gott ist als derjenige, der alles geschaffen hat,auch dafür verantwortlich, das alles läuft. Bis zu dem Zeitpunkt, bis die ersten Menschen erschienen, schien auch alles wunderbar zu funktionieren (sieht man davon ab, das zu diesem Zeitpunkt laut der Fossilien bereits 98% allerTierarten, die je gelebt haben, bereits ausgestorben waren). Doch was geschieht? Zuerst dreht ein bis ins kleinste von Gott erschaffenes Wesen(genannt „Satan“) völlig durch und probt den mit Abstand aussichtslosesten Aufstand, den es je gab – wohlgemerkt, begangen von einem Intellekt, der den unseren auf unvorstellbare Weise übersteigen muss. Diese Schöpfung Gottes geht nun daran, das junge Menschenpaar auf der Erde umzupolen– jeder erinnert sich an die fatale Einleitung „sollte Gott wirklich gesagt haben .. ?“. Und schon rebelliert zuerst das „schwache“, dann das „starke“Geschlecht gegen Gott. Gottes Schöpfung ist, wenn man den Menschen gemäß der Bibel als ihre Krone betrachtet, der reinste Rohrkrepierer.

Liebe und Allmacht - Bei Gott auf einer Stufe?
Halten wir an dieser Stelle nun kurz inne und verinnerlichen uns, was hier gerade passiert ist. Gott, perfekt, schafft Wesen, perfekt, das –was tut? Es begeht einen Fehler. Nicht nur das, es durchkreuzt den Plan Gottes. Gerne wird an dieser Stelle eingelenkt, das Gott nach wie vor seinen Vorsatz verfolgt, die Erde in ein Paradies umzuwandeln. Fraglich ist jedoch, ob Gott einkalkuliert hatte, das sich die Situation so wenden würde. Hätte er es, wäre es höchst grausam, und würde den ihm von der Bibel verliehenen Eigenschaften wie Liebe und Güte kaum gerecht werden. Hat er diese Situation so nicht geplant, bedeutet das nur eins: ein Fehler ist ihm unterlaufen. Wer Fehler macht, ist nicht perfekt.
Das ist für einen erfahrenen Zeugen Jehovas der Punkt, an dem das Schlagwort „freier Wille“ ins Spiel gebracht wird. Die Menschen entschieden angeblich völlig unbeeinflusst aus sich heraus, zu sündigen. Freier Wille ist jedoch ein Mythos. Das Universum funktioniert grundsätzlich nach dem Prinzip der Kausalität – Aktion erzeugt Reaktion. Weder die Menschen im Garten Eden noch der gefallene Engel haben vor ihrer Existenz über die Welt entschieden, in die sie gesetzt werden, noch wählten sie ihre Eigenschaften aus. Sie überprüften nicht ihre Gene. Sie wählten nicht ihre spezifischen Eigenschaften, nicht ihre Haarfarbe, nicht die neuronale Struktur ihres Gehirns, nicht das Zünden der Synapsen, Der einzige, der ausserhalb des Gesetzes der Kausalität steht, ist Gott selbst. Da er alles geschaffen hat, hat er den ersten Dominostein zu Fall gebracht und damit alle anderen in Bewegung gesetzt.
Warum hat er nicht in die Zukunft gesehen? Er hätte doch ahnen, vorhersehen müssen, wie sich die Dinge entwickeln. Wenn er diese Eigenschaft schon bei vergleichsweise kleinen Dingen wie der Unterstützung seines Volkes in alter Zeit oder der Propheten einsetzte, warum kontrollierte er nicht den Werdegang seiner Schöpfung und verhinderte die Komplikationen, bevor sie auftraten? Für gewöhnlich heisst es nun: „er ist zwar perfekt, setzt seine Fähigkeiten aber nicht immer ein.“ Das würde bedeuten, das ein Tischler, der einen Stuhl schief und krumm zusammengebaut hat und sich bei seinem enttäuschten Käufer achselzuckend rechtfertigt „ich habe halt den Hammer und die Schrauben nicht benutzt“, keinen Fehler gemacht hat. Und das ist sogar richtig. So etwas bezeichnet man gemeinhin nicht als Fehler, sondern als Unterlassung oder Fahrlässigkeit. Kam im alten Israel ein Mensch zu Tode, weil ein anderer vordem Holzhacken nicht überprüft hatte, ob die Schneide seiner Axt richtig sitzt,musste er in eine von mehreren bestimmten Städten flüchten, bevor die Angehörigen des Toten ihn lynchten. Gott sieht Fahrlässigkeit also genauso unentspannt wie menschliche Richter.

Spätestens an dieser Stelle wird es dem demütigen Zeugen Jehovas zuviel. Eine Erinnerung folgt: wir sind nur Menschen und können uns nicht anmaßen, Gottes Pläne völlig zu verstehen. Wären wir verglichen mit Gott nur Ameisen, könnten wir uns schon glücklich schätzen.

Ein zunächst logischer Einwand. Werde ich zu einem Nichts degradiert, das einfach nicht die Wege des Giganten über ihm verstehen kann,werden sämtliche Gedanken des Zweifels, des Hinterfragens an sich ausgeräumt.Ich verstehe nicht, weil ich nicht kann.
Das Problem ist, das von mir Aktivität verlangt wird. Ich soll hinausgehen, mit Menschen reden, ihnen diesen Gott näher bringen. Ich sollgemäß der Bibel mein Leben bis ins kleinste Detail, von der Ernährung über die Kindeserziehung bis hin zum Sexualleben an bestimmte Regeln binden. Ein Gott,der seine Schöpfung vergurkt hat, dessen Geistwesen, noch viel mächtiger als wir und somit besser imstande, die Situation zu beurteilen, reihenweise erst im Himmel und dann auf der Erde Randale machen, ein Gott, der seinem Volk Gebote erteilt wie „Du sollst nicht töten“ und sie dann in einen Genozid nach dem anderen schickt. Ein Gott, der Menschen quält mit „den entzündeten Beulen Ägyptens und mit Hämorrhoiden, Ekzemen und Hautausschlag, von denen du nicht geheiltwerden kannst“, und der Menschen mit „Wahnsinn und Erblindung und Verwirrung des Herzens“ peinigt, obwohl ein reiner Gedanke von ihm mehr als genug wäre, um den Menschen, der aufgrund Gottes Fehler sündig ist, von seinen falschen Handlungen abzubringen. Ein Gott, der sich nicht zu schade ist, seinen eigenen Sohn auf Erden elendig sterben zu lassen, um die Korrektur seiner Fehler wenigstens schon mal einzuläuten.
Ein Gott, der in all seiner Liebe, Güte und Weisheit 6000 Jahre (so die Anzahl der Jahre der Menschheitsgeschichte laut Kreationisten,Zeugen Jehovas etc) des Todes, des Mordens, Plünderns, Hungers, der Vergewaltigung, des Krieges, des Leides und der Krankheit an seinen Kindern vorüberziehen lässt und es immer noch nicht für nötig erachtet, den Lauf der Geschichte gerade zu biegen. Und das große Finale steht noch aus: Zur Krönung der von Leid geprägten Menschheitsgeschichte plant Gott laut der Offenbarung,seinen Sohn und ein Heer von Engeln zur Erde hinabzuschicken und all jene zu massakrieren, die seiner Meinung nach die Erde verschandeln – schätzungsweise einige Milliarden Menschen.
Ein Gott, der der Menschheit „Gelegenheit ein räumt“, eine Existenz ohne ihn auszuprobieren – aber ohne die Vollkommenheit, die Ihnen laut der Bibel angeblich ursprünglich eigen war. Das erinnert an einen Marathontrainer (wie oft wurde das Marathon-Gleichnis eigentlich von denzumeist höchst unkreativen Vortragsrednern benutzt?), der seinem Zögling beibringen will, das er ohne ihn bei der Olympiade keinen Blumentopf gewinnt.. nachdem er ihm mit einer Brechstange die Beine gebrochen hat.

Ist das das Ergebnis von vollkommener Weisheit? Von perfekter Planung?
Selbstverständlich besitzt Gott die Macht, alles Geschehene zu korrigieren – aber das tilgt das geschehene Leid nicht aus. All dieser Schmerz war existent, ist Geschichte, völlig egal, ob sich die Menschen später noch daran erinnern oder ob ihnen das genommen wird. Ein Verbrechen wird nicht dadurch ungeschehen gemacht, das man dem Opfer die Erinnerung daran nimmt.
Nehmen wir aber all das hin – es ist nun so, und Gott plant,sein Reich aufzurichten. Zuerst die große Drangsal, dann Harmagedon, dann eintausend Jahre des Friedens, dann darf der durchgedrehte Engel sich noch einmal austoben (warum auch immer), und dann ein Paradies. Man wird jedoch Nachsicht mit mir haben, wenn ich gebranntes Kind nun stutze und innehalte. Dashat er doch schon mal versucht. Beim letzten Mal ging es in die Hose, die Konsequenzen haben wir bereits einige Zeilen zuvor durchgekaut. Ob es diesmal klappt, mit einigen tausend/Millionen Teilnehmern anstatt nur zwei? Vielleicht,vielleicht auch nicht. Perfektion riecht anders.

Wie dem auch sei, betrachte ich auch diesem Blickwinkel Gott, so scheint mir seine Allmacht doch weit weniger „All“ zu sein, als es mir früher zu gläubigeren Zeiten schien. Vielleicht ist meine Perspektive zumenschlich und bei weitem nicht göttlich genug, um „Gottes Plan“ verstehen zu können. Trotzdem aber muss ich für mich ein Urteil fällen, und das kann nicht auf dem basieren, was ich nicht verstehen kann oder wozu mein Verstandangeblich nicht fähig ist.
Entscheidungen kann ich nur anhand dessen treffen, was ich weiß und verstehen kann.

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